Velofahren macht Städte attraktiver!
Urbanes Leben stellt sich dann ein, wenn sich Menschen im Stadtraum unmittelbar begegnen und nicht durch Windschutzscheiben oder tonnenweise Blech voneinander getrennt sind. Dies geschieht, wenn sie zu Fuss gehen oder velofahren. Keine Werbeagentur im Auftrag einer Stadt käme heute – wie noch in den 1970er Jahren – auf die Idee, in Imageprospekten dicht befahrene Autobahnkreuze im täglichen Berufsverkehrsstau abzubilden. Im Gegenteil: Parks und Plätze – nicht Parkplätze – machen eine attraktive Stadt aus.
Auch der Wohntrend hat sich verändert: Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanis-tik (Difu) zeichnet sich ab, dass das Einfamilienhaus seine Rolle als Wohnleitbild verlieren wird. Gefragt sind eindeutig die Innenstädte und innenstadtnahe Stadtteile. Dabei wünschen sich die meisten vor allem eine Stadt der kurzen Wege. Sie wollen zentral wohnen, wohnungsnah arbeiten, um die Ecke einkaufen, den Stadtpark vor der Haustür. Stadtparks (91 %) und Naherholungsgebiete (87 %), Restaurants (87 %) und Cafés (84 %), Fussgängerzonen (86 %) und Einkaufspassagen (83 %) stehen in der Gunst der Städter ganz oben. Inmitten von städtischem Grün suchen die Menschen Kommunikation und Kulinarik.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Renaissance des urbanen Wohnens längst überfällig, auch wenn in einigen Metropolen eine signifikante Gefahr der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen besteht (Gentrifizierung). Um die Städte lebenswerter zu gestalten, kommt neben Aufwertung der Zentren, dem Neubau von Einkaufs- und Vergnügungsanlagen auch der Bewegungs- und Aufenthaltsqualität sowie der Förderung der Nahmobilität eine zentrale Bedeutung zu.
Radverkehr ist im Rahmen des Konzepts Nahmobilität zu sehen und bleibt der wichtigste Aktiv-posten, wenn es um eine Veränderung des Modal Splits geht. Das Fahrrad hat den größten Aktionsradius und ein enormes Substitutionspotenzial, wenn es um die Verlagerung von Kfz-Verkehr geht. Eine weitere Stärke des Fahrrades liegt in seiner flexiblen Einsatzweise im Kurzstreckenverkehr, hier punktet es mit einem deutlichen Zeitvorteil gegenüber dem Motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem Öffentlichen Verkehr (ÖV).
Städte werben heutzutage genau mit jenen attraktiven Vierteln für positive Urbanität, in denen jetzt schon viel Rad gefahren wird. Das geht soweit, dass dort der Trend junger Familien hinaus nach „Suburbia“ gestoppt ist: nirgends sind so viele Kinderwagen zu sehen wie im Prenzlauer Berg in Berlin, im Frankfurter Nordend oder in der Kölner Südstadt. Das liegt unter anderem daran, dass die dortige Verkehrssituation im Gegensatz zu den 1980er Jahren von jungen Leuten nicht mehr als lebensgefährlich für Kinder empfunden wird. Daran hat der steigende Radverkehrsanteil, zu dem diese Eltern übrigens selbst oft beitragen, einen erheblichen Anteil. Viel Radverkehr auf der Straße führt zu besserem Miteinander und auch dazu, dass Geschwindig-keitsbegrenzungen eher respektiert werden.
Fahrradfreundlichkeit kann auch der Wirtschaft bei der Suche nach dringend benötigten Fachkräften helfen. Denn Stadtviertel mit guter Nahmobilität verkörpern einen Standortvorteil für hochqualifizierte, umworbene und gut bezahlte Leistungsträger, die sich für einen neuen Arbeits- und Lebensplatz entscheiden müssen. Für sie spielt der Wohnwert eine wichtige Rolle,
damit sie und ihre Familien sich wohl fühlen. Ein Signal für ein angenehmes urbanes Lebensumfeld sind da Eltern, die im Viertel mit ihren Kindern Fahrrad fahren oder sie im Lastenrad befördern.
Die Leitidee „Stadt als Lebensraum“ bedingt einen Paradigmenwechsel in der Straßenraumplanung. Neben der Architektur sind Straßen wichtiger und prägender Bestandteil der Stadt und mehr als nur Verkehrsraum: Sie sind Aufenthaltsorte, Treffpunkte, Kommunikations- und Spiel-räume. Straßen prägen durch ihre Lebendigkeit die Qualität eines Wohnviertels und damit sein Erscheinungsbild. Belebte Straßen und Plätze mit regem Rad- und Fußverkehr auch bei Dunkelheit sind sozial kontrolliert und dadurch sicherer als reine Autopisten. Straßen und Plätze stehen für die Identität von Städten und sind ihre „Visitenkarten“.
Großstädte brauchen attraktive Citys als Konkurrenz zu den Shopping-Centern auf der grünen Wiese. Letztere sind meistens auf Kfz-Erreichbarkeit ausgerichtet. Die City hingegen kann in diesem Punkt gar nicht mithalten, dazu ist sie viel zu dicht bebaut und multifunktional. Die Stärken der Stadtzentren liegen in ihrer Dichte und Vielfalt. Sie sind Begegnungsstätten mit einem vielseitigen gastronomischen und Unterhaltungsangebot. Diese Qualitäten muss eine City positiv ausspielen. Dazu gehört, dass sie gut mit dem Rad zu erreichen ist und genügend Abstellmöglichkeiten bietet. Radfahrende nutzen gern städtischen Einzelhandel und sind gute Kunden. Denn die meisten Einkaufswege in den Städten sind ohnehin kurz und für die Mehrheit der Großstädter ist die City näher als ein suburbanes Shoppingcenter. Und sperrige, schwere Güter muss niemand ständig kaufen. Die Chance des City-Einzelhandels liegt also weniger in weiteren Parkhäusern, sondern in guten Bedingungen für ÖPNV-Nutzer und Radfahrer.
Zudem boomt der Fahrradtourismus und stellt damit einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor in Deutschland dar. Dies gilt auch für die Kategorien „Städtetourismus per Rad“ und „Radausflug ohne Übernachtung“. Da der Jahresurlaub zunehmend an Bedeutung verliert und der Trend hin zu mehreren Kurzurlauben oder spontanen Freizeitaktivitäten geht, sind Tourismus und Naher-holung mit dem Fahrrad auch für die Stadt von stetig wachsender wirtschaftlicher Bedeutung.
Auch „Suburbia“ profitiert vom steigenden Radverkehr
In den Vorstadtzonen oder „Speckgürteln“ der Städte wohnen viele Menschen, denen es im Zentrum zu teuer und zu hektisch ist oder die aus verschiedenen Gründen viel Platz benötigen. Meist finden sie den in der Kernstadt nicht, zumindest nicht zu realistischen Preisen. Außerdem siedeln in der Vorstadt oft Unternehmen in zumeist modernen Gewerbezentren, denen es im Zentrum ebenfalls zu eng und zu teuer ist.
Viele Menschen leben lieber im Umland oder in der Stadt als auf dem Land. Auch wenn die suburbane Lebensform weder den Puls der Großstadt noch die ländliche Idylle widerspiegelt.
In Suburbia ist man in der Regel mit dem Auto bequem unterwegs, Parkplatzprobleme und Staus innerorts halten sich in Grenzen. Die Infrastruktur ist meistens autogerecht – Siedlungs- und Gewerbegebiete sind durch leistungsfähige (Schnell-)Strassen erschlossen, zusätzlich zu den Ortskernen gibt es meistens große Shopping-Center, Verbrauchermärkte oder Handels-Cluster mit viel Parkraum. Auch in den Gewerbegebieten parkt es sich in der Regel ohne große Probleme. Im Einzugsbereich von Metropolen gibt es für die Pendler oft ein leistungsfähiges Netz von S- oder Regionalbahnen. Ist das Fahrrad hier also überhaupt ein geeignetes Ver-kehrsmittel?
Ja. Denn nicht jede Vorstadtfamilie kann und möchte sich Zweit- und Drittwagen leisten. Außer-dem sind auch im „Speckgürtel“ viele alltägliche Wege kürzer als fünf Kilometer.
Nicht jeder pendelt täglich in die jeweilige Metropole zur Arbeit. Vielmehr ist innerhalb der Vorstadtzonen, die ja meistens vitale Gewerbezonen haben, ein reger Berufsverkehr zu verzeichnen. Verkehre mit Einkaufs- und Ausbildungszielen – in der Vorstadt wohnen relativ viele Familien mit schul-pflichtigen Kindern – haben oft eine Distanz, die mit dem Fahrrad problemlos zu bewältigen ist.
Für Pendler in die Metropole ist bike+ride statt park+ride eine mögliche Option. Ein Beispiel: Im Münchner Verkehrsverbund MVV wird bike+ride schon heute doppelt so oft praktiziert wie park+ride. Für die Vorstädte ist park+ride eher ein Entwicklungshindernis: Die Flächen rund um die Regional- und S-Bahnhöfe könnten eigentlich wegen ihrer guten ÖV-Anbindung hochwertig entwickelt werden, statt großflächig mit PKWs vollgestellt und durch sie verlärmt zu werden. A-propos ÖV-Anbindung: Diese ist oft radial in die Metropole sehr gut, sie weist jedoch tangential Schwächen auf. Innerhalb der jeweiligen Vorstadt oder zur Nachbargemeinde funktioniert die Anbindung nicht so gut. Gleiches gilt für das Spätabend- und Nachtangebot. Hier bietet sich das flexible Individualverkehrsmittel Fahrrad an.
Neben Shopping-Centern, die in Suburbia in der Regel ausschließlich auf motorisierte Kund-schaft setzen, können die Vorstädte durchaus interessante Stadt- und Ortszentren vorweisen. Doch deren Gewerbetreibende und Händler müssen sich intelligente Konzepte einfallen lassen, um sich gegen Einkaufszentren und den Internet-Handel zu behaupten: Sie müssen erlebnis-orientierter auftreten, mit Lokalkolorit und mehr sozialer Interaktion überzeugen. Dafür brauchen sie eine gute Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer. Das ist wichtiger als ein Parkplatz vor der Ladentür für jeden Kunden. In Ortsdurchfahrts- und Ortseinkaufsstraßen sind daher kreative Lösungen für das Miteinander von PKW, ÖV, Radfahrenden und Fußgängern gefragt.
Die positive Wirkung von mehr Radverkehr im suburbanen Raum verstärkt sich durch den Sie-geszug der E-Bikes und Pedelecs. Das E-Bike / Pedelec verkauft sich in den Vorstädten be-sonders gut, weil es dort die meisten Menschen zu Hause sicher und barrierefrei abstellen kön-nen. Die Lokalpolitik sollte diesen Trend nutzen und fördern, denn das Pedelec kann den Zweitwagen ersetzen, weil es den praktischen Alltagsradius spürbar erweitert. Pedelec-Nutzer wollen keine Sonderlösungen für sich, vielmehr benötigen sie eine komfortable Radverkehrs-Infrastruktur.
All das spricht dafür, auch in suburbanen Räumen den Radverkehr gezielt zu fördern. Die Vo-raussetzungen dafür sind gut. In vielen Kommunen gibt es schon ein Alltags-Radverkehrsnetz, ebenso alltagstaugliche sowie regionale radtouristische Routen, die auch die Bewohner im sub-urbanen Raum nutzen können. Durch Radschnellwege ließe sich der Pendlerradius per Rad auf über zehn km erweitern. Einzelne Hub-Stationen des ÖV (Bahn-Bus-Knoten) sind so frequen-tiert, dass der Betrieb von Radstationen dort sinnvoll sein kann.
Radverkehr – wichtig auch im ländlichen Raum
Auch „auf dem Lande“ wird Rad gefahren, obwohl das Auto dort unzweifelhaft das Hauptver-kehrsmittel ist. Aber gerade in den Gemeinden ländlicher Regionen sind viele gefahrene Dis-tanzen geringer als fünf Kilometer und könnten problemlos mit dem Fahrrad zurückgelegt wer-den. Die Ausstattung von Landstraßen mit straßenbegleitenden Radwegen ist in manchen Re-gionen durchaus beachtlich. Außerdem bietet das verkehrsarme Nebenstraßennetz oft ein gu-tes Radverkehrsangebot, ohne dass dazu extra Radwege gebaut werden müssten.
Selbst wenn ein PKW im Haushalt vorhanden ist, sind die anderen Familienmitglieder auf Alter-nativen angewiesen, ebenso wie der Personenkreis ohne Fahrerlaubnis.
Vernünftige Bedingungen zum Radfahren bilden angesichts des meist schwachen ÖV-Angebots im ländlichen Raum für viele Menschen die einzige Möglichkeit für Mobilität und soziale Teilhabe.
Man muss auch realistisch davon ausgehen, dass die demografische Entwicklung vieler ländli-cher Räume dort keine Erweiterung der Radverkehrsinfrastruktur mehr zulässt. Im Gegenteil: Heute kommt es vielerorts auf die Qualitätssicherung der wichtigsten Radverkehrsverbindungen und eine gute intermodale Verknüpfung an. Dies gilt insbesondere angesichts der zu befürch-tenden Ausdünnung des ÖV-Angebots in der Fläche. Hier steigt angesichts der damit verbun-denen längeren Wege zur Haltestelle die Bedeutung des Fahrrads als Zubringerverkehrsmittel.
Insgesamt ist die Entwicklung der intermodalen Angebote im ländlichen Raum besonders wich-tig: Klassisches bike+ride, der Fahrradtransport im Schienen-Nahverkehr, aber auch die Mit-nahme in Bussen und Taxis sowie die Einrichtung sicherer Fahrrad-Abstellanlagen an Pendler-parkplätzen zwecks gegenseitiger Mitnahme (Carpool) sichern die Mobilität auf dem Lande.
Die Ausbreitung des Pedelecs und des E-Bikes ermöglicht einen größeren Aktionsradius über mehrere Ortschaften hinweg, auch im hügeligen oder bergigen Gelände. Für alltagsrelevante Radverkehrsverbindungen auf normalerweise unbeleuchteten Straßen und Wegen sollte es in-telligente Lösungen geben (Bewegungsmelder an Lichtmasten, Reflektoren, nachtleuchtende Markierungen).
Für viele ländlich strukturierte Kreise spielt der Radtourismus eine wichtige Rolle. Gebiete an beliebten Flusstalradwegen profitieren stark davon. Hier gilt es die Qualität zu sichern. Dazu gehört auch, dass die touristischen Radwege sicher und komfortabel zu befahren sind. Davon sollte wiederum der Alltagsradverkehr profitieren.